Auf unserer Reise durch den Norden Indiens hatten wir dann unterschiedliche Begegnungen mit verschiedenen Religionen dieses Landes, die alle auf ihre eigene Art und Weise das Glück suchen.
In den Staaten gibt es nämlich folgende Mehrheiten: Punjab: Sikhs, Jammu und Kaschmir: Moslems, Haryana: Hindus, Ladakh: Buddhisten.
Delhi
Aus Delhi sind wir mit dem Zug rausgefahren. Für unsere erste Zugfahrt haben wir uns ein „Superticket“ mit Sitzreservierungen in der besten Klasse (mit Glasscheiben, Klimaanlage und einer 2×2 Sitzverteilung) gegönnt.
Auf dem Bahnsteig, wo wir unser ganzes Gepäck abgeladen haben und immer fest miteinander verknotet und in unseren Händen gehalten haben, setzt sich auf einmal eine Frau DIREKT neben uns und pinktelt los!!!
Wir konnten zum Glück gerade noch rechtzeitig unsere Taschen wegreißen. Den anderen Indern schien das völlig egal zu sein, denn die haben einfach in Ruhe weitergegessen und ihr Picknick auf dem Bahnsteig fortgeführt…
Mal schauen, ob wir nach 6 Monaten auch so völlig relaxt sind, dass wir derartige Dinge auch gar nicht mehr wahrnehmen!?
Chandigarh
Unser erstes Ziel nach Delhi war Chandigargh, da es laut unserem Reiseführer „India’s Greenest & cleanest City“ ist. - Na ja, wir mußten feststellen, dass das wohl alles relativ zu betrachten ist :-))
Im dort bekannten „Rockgarden“ (einem wirklichen beeindruckendem künstlerischen Park) hatten wir dann unser erstes „Fotoshooting“. Sämtliche Schulklassen, die zeitgleich mit uns da waren, wollten zusammen mit uns ein Foto. Das ging in etwa immer gleich ab: erst unter einem lauten Gekicher die Jungs, dann unter nicht weniger lautem Gekicher die Mädels und schießlich gab’s dann immer noch ein Gruppenfoto mit den Lehrern. Selbstverständlich auch hier unter dem größten Gekicher. Zusätzlich hatten die Inder Lust auf „Händeschütteln“ und so haben wir alleine an diesem Tag bestimmt 300 Hände geschüttelt!
Amritsar
Nach knapp einer Woche in Indien sind wir in Amritsar, im Bundesstaat Punjab, angekommen. Dies ist das Land der Turban tragenden Sikhs und hier steht auch ihr heiligster Schrein, der „Goldene Tempel“.
Sikh-Religion
Wesentliche Merkmale der Sikh-Religion sind die Betonung der Einheit der Schöpfung, die Abkehr von „Aberglauben“, traditionellen religiösen Riten und sozialer Hierarchisierung entlang Religion, Herkunft und Geschlecht.
Die Sikh-Religion orientiert sich nicht an der Einhaltung religiöser Dogmen, sondern hat das Ziel, religiöse Weisheit für den Alltag nutzbar zu machen. Guru Nanak sowie seine neun nachfolgenden Gurus (religiöse Vorbilder) unterstreichen in ihren Einsichten, ihr Verständnis, über vorhandene Religionen hinauszugehen und distanzieren sich inhaltlich von den dominierenden religiösen Traditionen ihres Zeitalters, darunter Buddhismus, Hinduismus und Islam.
Für Sikhs existieren verschiedene formale Vorgaben:
Erscheinungsbild
Praktizierende Sikhs, vor allem männliche Religionsanhänger, erkennt man an einem kunstvoll gebundenen Turban. Dieser drückt entsprechend dem Selbstverständnis der Sikhs Weltzugewandheit, Nobelhaftigkeit und Respekt vor der Schöpfung aus. Einige wenige Sikh-Frauen tragen ebenfalls einen Turban, jedoch bevorzugen Sikh-Frauen, die auf eine Kopfbedeckung wert legen, ein dünnes Stofftuch.
Sikhs tragen die fünf Kakars:
- Kes (ungeschnittenes und gepflegtes Haar: Abgrenzung von asketischen Traditionen, Respektsbekundung für die Schöpfung, d. h. ein Sikh lehnt sich nicht gegen die Naturgesetze auf, die Gott erschuf)
- Kangha (Holzkamm: für die Haarpflege)
- Kirpan (kleiner Dolch: ursprünglich ein Schwert zur Selbstverteidigung; Sinn für Selbstachtung, Gnade und Gerechtigkeit)
- Kadha (eiserner Armreif: ursprünglich zum Schutz gegen Schwerthiebe)
- Kachera (eine kurze Hose/Kniehose), als Zeichen von Hygiene, die zu damaligen Zeiten keinen Standard bildete, aber auch als Zeichen von sexueller Enthaltsamkeit.
Namensgebung
Sikhs tragen in der Regel gleichlautende Nachnamen. Als Ausdruck von Geschwisterlichkeit tragen Sikh-Männer den gemeinsamen Nachnamen Singh (Löwe), Frauen heißen mit Nachnamen Kaur (Prinzessin). Die Namensgebung wurde von Guru Gobind Singh im 17. Jahrhundert eingeführt. Die Verwendung der gleichen Namen soll einen Kontrapunkt zu der in Indien verbreiteten sozialen Hierarchisierung entlang der Nachnamen darstellen.
Dennoch verwenden manche Sikhs noch einen Nachnamen, zum Beispiel ihre Kaste oder ihren Herkunftsort oder sie stellen ihren Beruf vor den Namen.
Männliche Sikhs werden mit Sardar oder dem eher ländlichen Bhaiji oder Bhai Sahib, zu Deutsch Bruder, angesprochen, weibliche mit Sadarni, Bibiji, Frau, oder Bhainji, Schwester.
Gurdwara - Der Goldene Tempel in Amritsar, Indien
Gurdwaras, (wörtlich: Tor zum Guru) die Tempel der Sikhs stehen allen Menschen unabhängig ihrer Konfession offen. So weisen z.B. im Goldenen Tempel von Amritsar vier Eingänge in die vier Himmelsrichtungen umzu zeigen, dass die Sikhs allen Menschen offen gegenüberstehen und sie willkommen heißen.
Jeder, der ein Gurdwara betritt, ist zum Tragen einer Kopfbedeckung verpflichtet.
Gurdwaras sind stets zugänglich, egal ob Tag oder Nacht.
Getrennt wird das Gurdwara in einen Bereich für Männer und Frauen, wobei kleine Kinder sich meistens bei ihren Müttern befinden. Dieses soll unreine Gedanken verhindern. Vor allem schützt es auch Frauen vor “fremden Blicken”. Trotzdem ist es gestattet sich auf die Seite des anderen Geschlechtes zu setzen.
Morgens, mittags und abends findet ein gemeinsames kostenfreies Mahl statt, das Langar. Es wird durch die Spenden finanziert und von ehrenamtlich arbeitenden Sikhs selber zubereitet. “Hauptbestandteile” eines solchen Langars sind meistens Dal, Linsensuppe, die auch oft Speise der Armen ist (und daher die Gleichheit aller Menschen betont), und Reis.
Ernährungsgewohnheiten
Der Verzehr von Fleisch ist generell nicht verboten. Einzig im Gurdwara (Tempel) werden meist nur vegetarische Gerichte angeboten um allen Anwesenden die Möglichkeit zu bieten alles essen zu können. Allein geschächtetes Fleisch gilt als Verboten da diese Weise des Tötens von Sikhs als unnötig grausam empfunden wird. Dem Körper schädigende Dinge wie z.B. Tabak, Alkohol und andere Drogen sind zudem auch untersagt.
Reinkarnation
Die Sikh glauben – ebenso wie Hindus – an die Reinkarnation. Ebenso glauben sie, dass der Mensch die höchste Existenzform ist und somit die besten Chancen hat, den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt zu durchbrechen.
Materielle Bedürfnisse
Im Gegensatz zum Hinduismus akzeptieren Sikh die Wichtigkeit materieller Bedürfnisse und deren Befriedigung. So prägen das Eheleben und die Familie nicht nur einen Lebensabschnitt, sondern sind für das ganze Leben wichtig. Deswegen steht die Sikh-Religion dem Streben nach Wohlstand und Ansehen nicht im Weg, es wird sogar gesagt:
„Ein Sikh muss anderen ein Beispiel geben; er soll ein besserer Bauer, ein besserer Geschäftsmann und ein besserer Beamter sein.“
– GOBIND SINGH MANSUKHANI: Introduction to Sikhism
Religiöse Grundeinsichten
Die religiösen Einsichten der Sikh-Religion sind wie folgt festgehalten:
Fortwährendes Gottvertrauen sowie die Verinnerlichung und das Leben spiritueller Weisheit im Alltag (Nam) stehen dabei im Mittelpunkt.
Ein zentrales Thema ist die Überwindung des Egoismus. Laut den Religionsgründern ist das Haupthindernis für inneren und sozialen Frieden das Hängen am eigenen Ich und an weltlichen Dingen (Maya). Innerer Frieden, auch Mukti (Erlösung) genannt, kann durch ein erwachtes und aufgeklärtes Bewusstsein erreicht werden, welches das Gefühl des Getrenntseins von allem Existierenden als Illusion durchschaut.
Lebenseinstellung
Die Sikh-Religion geht davon aus, dass jede Tat und jeder Gedanke gemäß dem Naturgesetz von Ursache und Wirkung eine Konsequenz haben. Es wird daher größter Wert auf eine tugendhafte Lebensführung gelegt.
Als Eckpfeiler des Sikh-Seins gelten ein sozial ausgerichtetes Familienleben, der ehrliche Verdienst des Lebensunterhaltes sowie lebenslange spiritueller Entwicklung. Der Dienst an Mitmenschen sowie das Bemühen zur Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten werden als wichtige Form der Gotteshingabe angesehen. Frauen und Männern wird eine gleichberechtigte Rolle zugesprochen (gleiche Rechte und Pflichten).
Rituale, Pilgerfahrten, die Wiederholung von Mantren oder eines bestimmen Namens für Gott sowie die Ausübung von spezifischen Yoga- und Meditationstechniken werden für eine tiefgehende religiöse Haltung als unwichtig eingestuft. Aberglaube, Okkultismus, Asketentum, religiöses Spezialistentum (Priester etc.), das Mönchs- und Nonnentum sowie Mittler zwischen dem Menschen und dem Schöpfer werden abgelehnt, da jedem Menschen das Potential zugesprochen wird, das Göttliche direkt in sich selbst und im Alltag mit anderen zu erfahren
Gegensätze zu anderen Religionen
Neben dem Monotheismus steht auch die Verehrung eines formlosen Gottes im Gegensatz zum Hinduismus, ebenso wie die Ablehnung des Kastensystems. Dennoch durchdringt das Kastensystem den Alltag der Sikhs, weil es im indischen Alltag übermächtig ist.
Die Sikhs nach dem 15. August 1947
Nach der Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien wurden Indien und Pakistan gegründet, es entstand ein pakistanischer und ein indischer Panjab. Millionen von Menschen, darunter viele Sikhs, siedelten von dem entstandenen pakistanischen Teil in den indischen Teil um.
Durch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Sikhs kommt es immer wieder zu Konflikten. Diese fanden 1984 ihren Höhepunkt mit dem Stürmen des Goldenen Tempels durch die hinduistisch geprägte Zentralregierung und dem Tod hunderter Sikhs. Darauf folgte die Ermordung der damaligen Ministerpräsidentin Indira Gandhi durch zwei ihrer Sikh Leibwächter.
Das Eingreifen internationaler Menschenrechtsorganisationen in dieser Krisenregion wurde notwendig. Gut 20 Jahre später, wird der renommierte Ökonom Dr. Manmohan Singh, als erster Sikh zum Ministerpräsidenten Indiens ernannt. In Indien ist eben alles möglich!
Unser Besuch im Goldenen Tempel
Da Amritsar äußerst dreckig (die gefühlte Lungenbelastung beträgt hier die eines Konsums von 1000 Zigaretten pro Tag !) und laut ( zum 1. Mal verstehen wir, dass man von Lärm tatsächlich sterben kann) ist, stellt der Tempelkomplex des Goldenen Tempels eine richtige Oase dar.
Grenzwertig war das Erlebnis nur dadurch, dass man nur barfuß in den Tempel durfte (no Socks allowed!!!). Das kostet ganz schön Überwindung, wenn einem am Eingang beim Durchwaten des Fußwaschbeckens schon die ganzen Leprafüße direkt neben einem, ins Auge stechen!
Alles höchst infektiös!!! Drinnen im Tempel war es dann echt super. Als wir uns dann abends noch einmal den beleuchteten Tempelkomplex angesehen haben, gesellt sich ein in Kanada lebender Sikh zu uns, der uns unheimlich tolle interessante Einblicke in seine Religion gewährt hat.
Beeindruckt waren wir vor allem von der großen Toleranz und Unaufdringlicheit dieser Religion, die sich auch in folgendem seiner Aussage zeigt:
„Sikhs are like salt in vegetables, without them there is no taste. But with too many of them, you can’t eat the vegetable.”
Wir erfuhren weiterhin, dass sehr viele Sikhs im Ausland, leben und dort ihre Kultur, eigene Sprache, Musik, Religion und Küche repräsentieren, sodass dies oft dem Bild entspricht, das man weltweit von Indien im Kopf hat.
Unser Besuch in Attari
Der „Wahnsinn“ erreichte dann seinen Höhepunkt als wir eines Nachmittags von Amritsar in einem Sammeljeep in das ca. 30 km entfernte Attari gefahren sind. Hier findet jeden Abend ein riesen Spektakel anlässlich der Schließung des Grenzübergangs zwischen Indien und Pakistan statt.
Während der Fahrt hatten wir gleich 2 Unfälle: als unser Fahrer, den Rückwärtsgang tätigte, weil wir dem Vordermann draufgefahren sind, sind wir dabei auch gleich noch dem Hintermann draufgefahren. Zum Glück hatte sich die ganze Situation nach einem kurzen, aber heftigen Wortgefecht offensichtlich geklärt und der Verkehr setzte sich einfach fort, als wäre nichts geschehen.
Somit sind wir noch rechtzeitig angekommen, denn die Tribünen, die auf jeder Seite ca. 30.000 Plätze fassen, waren bis auf den letzten Platz gefüllt.
Das Spektakel der Grenzschließung ist ein wahres Theaterstück und schon Stunden vorher strömen die Menschenmassen herbei. Die Wartezeit auf indischer Seite wird durch ausgelassenen Gesang und Tanz verkürzt.
Was auf der pakistanischen Seite passiert, können wir nicht sehen, aber das immer wieder lauthals gerufene “Hindustan Zindabad” (Lang lebe Hindustan), wird von der pakistanischen Seite mindestens genauso lautstark „beantwortet“.
Die eigentliche Zeremonie der Grenzschließung dauert 20 Minuten und strotzt vor Patriotismus und Imponiergehabe mit Drohgebärden und stark überzogenen Gesten.
Lautstark angefeuert vom jeweiligen Publikum schreiten die Soldaten auf und ab, schmeißen dabei ihre Beine so hoch in die Luft, dass sie sich jedes Mal fast selber gegen das Kinn treten.
Schließlich stehen die Grenzwächter beider Seiten Schulter an Schulter nebeneinander und holen ihre Flaggen ein. Dabei wird penibel darauf geachtet, dass beide Fahnen synchron eingeholt werden - keine darf über der anderen stehen.
Bei der ganzen ausgelassenen Stimmung ist es schwerz zu glauben, dass das Verhältnis zwischen Indien und Pakistan in der Realität doch eher angespannt ist.
Wir sind beeindruckt davon, wie sehr auch hier wieder die Menschen jeder Situation etwas Gutes abgewinnen können und immer einen Anlass finden um ausgiebigst sich selbst und vor allem das Leben zu feiern!
Quelle: Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Sikhismus aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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